Auf dem Kreuzzug (Wirtschaftswoche, August 2008)
Thomas Müller kam 1980 zum ersten Mal nach La Gomera. Es war Liebe auf den ersten Blick. Dem heute 55-Jährigen gefiel es so gut, dass er dauerhaft bleiben wollte. Der Fotograf und Architekt kaufte in unmittelbarer Nähe der Küste eine alte Bananen-Verladestation aus dem Jahr 1890, renovierte sie und entwickelte die ehemalige Ruine über die Jahre schließlich zum Kulturzentrum „Castillo del Mar”. 500 Veranstaltungen hat Müller sei de Eröffnung 2002 auf die Kanareninsel gebracht. Dennoch: Die spanischen Behörden wollen ihn jetzt enteignen. Die Lage der historischen Immobilie verstoße gegen ein Küstengesetz aus dem Jahr 1988, nach dem bis zu 500 Meter vom Strand entfernt nicht gebaut werden darf. Ein Schlag ins Gesicht für Müller, der mehrere Millionen Euro in den von der Gemeinde autorisierten Umbau gesteckt hatte.
Lange Jahre galt Spanien als idealer Standort für ein Ferienhaus – es war günstig zu haben, die Spanier waren freundlich, und natürlich stimmte das Wetter. Doch inzwischen müssen Käufer einiges erdulden und vieles befürchten.
Vorbei die Zeit, in der sich die Häuserpreise und mit ihnen die der Ferienimmobilien Jahr für Jahr nach oben schraubten. Laut Europäischer Zentralbank kletterten die Immobilienpreise in Spanien zwischen 1999 und 2005 um 15 Prozent pro Jahr – so stark wie sonst nirgendwo in Europa. Doch das ist vorbei. Offizielle Statistiken melden für 2007 zwar nur einen moderaten Preisrückgang zwischen zwei und drei Prozent. Doch diese Zahlen mag kaum noch jemand glauben. Die spanische Maklervereinigung API spricht von einem Wertverlust der Immobilien von 30 Prozent seit Beginn der Immobilienkrise im vergangenen Jahr.
Allein 2007 verloren Objekte in Küstenlagen laut Berechnungen des Immobilienmaklers Engel & Völkers (WirtschaftsWoche 17/2008). Und der Verfall geht weiter, sagt etwa Mariano Miguel, Chef des hoch verschuldeten spanischen Bauträgers Colonial: „Wir rechnen in den nächsten zwei bis drei Jahren mit Preisrückgängen bei Wohnimmobilien um die 30 Prozent”. Der trifft nicht nur die Hausbesitzer hart, sondern auch die Immobilienunternehmen. Wegen der seit 2006 nachlassenden Nachfrage nach Wohnungen häuften sich Schulden in Milliardenhöhe an, die Aktienkurse der einstigen Boom-Branche gingen im Sturzflug nach unten (siehe Charts Seite 90). „Ich frage mich, warum die Banken und die spanische Politik solange untätig geblieben sind”, sagt Rechtsanwalt Esteban Arriaga, der gerade mehrere in Konkurs gegangenen Baufirmen an der Costa del Sol abwickelt. Die Gier nach dem leicht verdiente Geld hat viele Unternehmer blind gemacht – und den Bauunternehmen und Projektentwicklern die Geldhähne zugedreht.
Immobilienbesitzer, unter ihnen viele Deutsche, fürchten nun, dass sie ihre Ferienhäuser und Wohnungen nicht mehr zum gleichen Preis loswerden, zu dem sie diese erworben haben – von Gewinnen ganz zu schweigen. Viele geraten zudem in Gefahr, irgendwann wie Müller zur Rechenschaft gezogen zu werden, weil ihr Ferienhaus gegen den Flächenordungsplan der Region oder nationale Umweltgesetze verstößt.
In Spanien gibt es nach Angaben des Interessenverbands Plataforma Nacional de Afectados por la Ley de Costas derzeit allein rund 300 000 Immobilien, die gegen das Küstengesetz aus dem Jahr 1988 verstoßen, nach dem 500 Meter vom Strand entfernt nicht gebaut werden darf. Ihre in Zeiten, in denen Umweltpolitik noch nicht so wichtig genommen wurde, von den zuständigen Gemeinden erteilten Baugenehmigungen nützen ihnen wenig: Ihre Objekte gelten jetzt als illegal. Nächster Schritt sind Abriss oder Enteignung. „Enteignung läuft in Spanien so ab, dass den Eigentümern zwar das Recht auf Nutzung der Immobilie gegeben wird, sie aber den Besitz de facto verlieren”, sagt Rechtsanwalt José Ortega, der den Interessenverband vertritt. Eine Beschwerde eines Betroffenen hat das spanische Verfassungsgericht bereits abgelehnt. 1300 Häuser in Spanien wurden nach Angaben des Verbandes in den vergangenen Jahren als vermeintliche Scwarzbauten abgerissen. Entschädigungen gab es noch keine.
Fatal: Mögliche Entschädigungen nach Enteignungen richten sich immer nach dem aktuellen Marktwert der Immobilie. Fallen die Preise weiter, könnte zum Beispiel das „Castillo del Mar” für den Deutschen Müller zu einem riesigen Verlustgeschäft werden. Verkaufen kann er nicht mehr, da die Immobilie bereits als illegal stigmatisiert ist, würde ihm niemand auch nur einen Cent geben.
„Es kann doch nicht sein, dass sich 15 Jahre lang niemand über die zugepflasterten Küsten aufgeregt hat und jetzt auf einmal ein Kreuzzug gegen Leute geführt wird, die auf den ersten Blick völlig legale Wohnungen und Häuser am Meer gekauft haben”, regt sich die Spanierin Carmen del Amo, Präsidentin der Küstenimmobilien-Lobby, über ihre eigenen Landsleute auf.
Sie ist selbst von diesem Kreuzzug betroffen. Del Amo hat ei Haus in Alicante, das wie 800 andere dort wegen seiner Nähe zum Strand vor vier Jahren als illegal abgestempelt wurde. „Über Jahre wurden Bau-Praktiken zugelassen, die nun wieder zulasten der Privateigentümer und Steuerzahler rückgängig gemacht werden sollen”, sagt Jan Stuyvesant. Der Holländer besitzt mehrere Ferienwohnungen am FKK-Strand von Playa Vera bei Almeria. Hier steht nicht nur eine Apartmentanlage, sondern auch ein großes Hotel.
„Während der Strand des Hotels immer weiter vergrößert wurde, damit nicht gegen das geltende Küstengesetz verstoßen wird, wurde vor den Ferienwohnungen der Strand immer weiter abgebaut. Wir befürchten, dass man uns damit schon mal auf eine baldigen Enteignung vorbereitet, weil wir nun viel zu nah am Wasser liegen”, sagt Stuyvesant. Der Holländer vermutet, dass Schmiergelder an Gemeindefunktionäre die merkwürdige und für ihn ungünstige Strandverlegung beeinflusst haben.
Korruptionsskandale im Zusammenhang mit Baugenehmigungen sind in spanischen Küstengemeinden eher die Regel als die Ausnahme. „Solange wir nicht die Gemeinde-Finanzierung ändern und Gemeinden weiter von der Vergabe von Baugenehmigungen leben müssen, werden Korruption und auch unkontrolliertes Bauen kein Ende nehmen”, glaubt Rechtsanwalt Arriaga, der in der Nähe von Marbella lebt. Derzeit muss sich ein Bauträger für eine Baugenehmigung verpflichten, einen Teil des Grundstücks für gemeinnützige Zwecke freizugeben – oder Geld an die Gemeinde zu überweisen, damit diese gemeinnützige Projekte in Auftrag geben kann. Dabei verschwinden oft Tausende von Euro, an der Costa del Sol auch vereinzelt Millionen, bei den Parteien oder direkt in den Taschen der Bürgermeister. Zwar hat die sozialistische Zentralregierung per Gesetz die Kontrolle durch die Regionalregierungen bei der Vergabe von Bauland verstärkt, „aber in der Praxis hat sich nicht viel verändert”, sagt der in Madrid, ansässige deutsche Rechtsanwalt Karl Lincke.
Der Fall Antonio Barrientos beweist das: Der Arzt und Ex-Bürgermeister von Estepona, einem bis vor ein paar Jahren noch kleinen Ort vor Marbella, wollte aus seiner Gemeinde einen „sauberen” und „korruptionsfreien”, Ferienort machen, frei von Mafia. Der Mann mit den breiten Schultern und dem düstereren Blick kündigte bei seinem Amtsantritt vor vier Jahren an: „Wir werden uns distanzieren von Marbella”. Hier war im Jahr 2004 einer der größten Geldwäscherringe Europas aufgedeckt und wenig später der gesamte Gemeinderat abgeführt worden. Doch Saubermann Barrientos ist nun auch dringend verdächtig, illegal Baugenehmigungen gegen Bestechungsgeld vergeben zu haben. Jetzt sitzt er mit mehreren Gemeindepolitikern der Region in Untersuchungshaft in Malaga. In der Region leben 25 000 Deutsche. Viele bangen jetzt um ihre Immobilien.
Müller, eines der vielen Opfer dieser Art von Baupolitik, verfolgt den Fall Estepona und dessen rechtliche Konsequenzen mit großem Interesse. Manchmal glaubt er auch, dass die Gemeinde ihn nur enteignen will, weil andere Leute Geld mit dem Kulturzentrum auf La Gomera machen wollten. Die hätten eben an den richtigen Stellen geschmiert. Müller kann verstehen, dass Deutsche – wie Makler an fast allen Küstenorten und auch auf den Inseln bestätigen – derzeit nur noch zu den Verkäufern gehören. „Manchmal zweifelt man, ob man wirklich in Europa ist. Aber ich habe immer noch Hoffnung”. Schwacher Trost: Eine Beschwerde des Interessenverbands “Plataforma Nacional de Afectados por la Ley de Costa” über das Vorgehen der Regierung in der Küstenimmobilien-Frage wird jetzt vom Europäischen Parlament untersucht.
Besonders übel dran ist, wer schon eine Immobilie angezahlt, diese aber noch nicht übernommen hat. Denn wegen der zuletzt restriktiven Kreditvergabe der Banken und weiter fallender Preise droht in der spanischen Baubranche eine beispiellose Pleitenwelle. Vor wenigen Wochen traf es das viertgrößte Unternehmen der Branche, Martinsa Fadesa. Dessen Mehrheitsaktionär Fernando Martín kaufte noch vor zwei Jahre, als schon klar war, dass der Immobilienboom in Spanien vorbei ist, für über vier Milliarden Euro den heimischen Wettbewerber Fadesa. Jetzt konnte Martinsa Fadesa 5,2 Milliarden Euro Schulden nicht mehr refinanzieren und meldete Konkurs an. Knapp 12 600 Menschen sind von dieser Pleite direkt betroffen, sie haben bei Martinsa Fadesa Erstwohnungen oder Ferienhäuser vom Reißbrett gekauft und müssen jetzt um ihre Investitionen fürchten.
Weiter Pleiten drohen. Ferienhausentwickler wie Polaris World, Aifos und Marina d’Or, die auch in Deutschland um Kunden werben, wurden bereits mehrfach der Korruption bezichtigt und in einigen Fällen auch verurteilt, viele ihrer Objekte stehen leer, nur mit Mühe und weiteren Krediten halten sie sich über Wasser. Sie sind wesentlich kleiner als Martinsa Fadesa und nicht an der Börse notiert – deswegen ist ihre Lage nicht so transparent. „Aber ihre Situation ist kritisch, genau wie die des Branchenführers Colonia”, sagt Manuel Romera von der Business-School Instituto de Empresa.
Colonial konnte knapp neun Milliarden Euro Schulden in letzter Minute noch refinanzieren, aber wenn das Unternehmen sich nicht schnell von vor zwei Jahren erworbenen Beteiligungen trennen kann, könnte nach Analystenschätzungen auch Colonial bald die Pleite drohen.
„Es wird ein Blutbad in der Branche geben”, warnt der Makler und Bauentwickler Matthias Meindel von Concept Hausbau in Leipzig, der die Entwicklung auf Mallorca intensiv verfolgt. „Hier wird trotzt der geringen Nachfrage weiter gebaut, schon jetzt geht aber nur die Hälfte der Objekte weg”. Die Immobilienblase sei viel schlimmer als die nach der Wende in den neuen Bundesländern: „Betrachtet man die schlechte Bauqualität, dann ist die Überbewertung noch viel höher, als viele Unternehmen glauben. Das muss zu Massenpleiten führen”. Sein neues Geschäftsmodell steht bereits: Pleite-Objekte auf Mallorca aufkaufen, natürlich so billig wie möglich.
Steffanie Müller, Madrid
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