Das Änderungskarussell des spanischen Insolvenzgesetzes
Der Schauplatz der Insolvenzverfahren in Spanien ist gekennzeichnet von einer noch nie dagewesenen Überarbeitung der Neufassungen zum spanischen Gesetz NR. 22/2003 über Insolvenzverfahren (Spanische Insolvenzgesetz) mit dem Ziel, verfahrenstechnische Mängel zu überkommen und den betroffenen Unternehmen einen ökonomischen und operativen Fortbestand zu ermöglichen.
In 2014 und zu Beginn 2015 wurden die folgenden drei partiellen Reformen des spanischen Insolvenzgesetzes durch verschieden Königliche Gesetzesdekrete (Real Decreto Ley) gebilligt:
- 4/2014, vom 7. März (4/2014)
- 11/2014, vom 5. September (11/201), und
- 1/2015, vom 27. Februar (1/2015”).
Bei den königlichen Gesetzesdekreten in Spanien handelt es sich um besondere Gesetze, die durch die spanische Regierung in sehr dringenden Fällen erteilt werden und die mit einer Veröffentlichung im spanischen Bundesgesetzblatt (Boletín Oficial del Estado) in Kraft treten. Auch wenn die Königlichen Gesetzesdekrete ab ihrer Veröffentlichung den Rechtsstatus haben, müssen sie innerhalb eines Monats nach der Publikation durch das spanische Parlament für rechtsgültig erklärt werden.
Das Königliche Gesetzesdekret 4/2014 wurde bereits vom spanischen Parlament für rechtsgültig erklärt und mit dem 30. September zum Gesetz 17/2014 erhoben.
Die Königlichen Gesetzesdekrete 11/2014 und 1/2015 werden zur Zeit als Gesetzesentwürfe überarbeitet (proyectos de ley). Als solche unterliegen sie während der kommenden Wochen und Monate unterschiedlichen Änderungsvorschlägen durch die verschiedenen politischen Parteien im spanischen Parlament.
Ziele der Änderungen der Königlichen Gesetzesdekrete für Insolvenzverfahren
Zusammenfassend können die folgenden Hauptziele der erwähnten Königlichen Gesetzesdekrete genannt werden:
- 4/2014 (Gesetz 17/2014, vom 30. September) zielt vornehmlich auf die Verbesserung des Schuldenabbaus von überlebensfähigen spanischen Firmen ab und will die Vereinbarung von Restrukturierungsmassnahmen erleichtern;
- 11/2014 weitet die wichtigsten Prinzipen von vorinsolvenzlichen Refinanzierungsvereinbarungen (eingeführt durch 4/2014) auf Vergleichsvereinbarungen aus und legt bestimmte Regeln in Bezug auf den Verkauf von Produktionseinheiten und die Liquidation von Gesellschaften fest;
- 1/2015 will die Möglichkeiten auf eine zweite Chance für die einzelnen Gläubiger ausbauen, so dass diese von nun an vom gleichen frischen Start wie die Anteilseigner von insolventen und liquidierten Gesellschaften profitieren können.
Verkauf von Produktionseinheiten bei Liquidation von Gesellschaften
Bezüglich des Königlichen Gesetzesdekrets 11/2014 ist zu betonen, dass die Reform einen besonderen Schwerpunkt auf den Verkauf von Produktionseinheiten im Zusammenhang mit der Liquidation von Gesellschaften legt (sobald eine Vergleichsvereinbarung ausgeschlossen wurde).
Keine Haftung für den Firmennachfolger
Bevor das Königliche Gesetzesdekret 11/2014 in Kraft trat, legte Art. 149 des spanischen Insolvenzgesetzes fest, dass die Übertragung einer Produktionseinheit eines Schuldners für den Firmennachfolger (sucesión de empresa) keine Haftung bedeutete, mit Ausnahme der Ansprüche in Zusammenhang mit den Arbeitskräften. Alle Arbeitsverträge der Produktionseinheit gingen automatisch auf die Gesellschaft des Käufers über (vorbehaltlich einige Aussnahmen).
Diese Regelung hatte es möglich gemacht, dass der Käufer einer Produktionseinheit eine restrukturiertes Unternehmen kaufen konnte, bei dem die Schulden des Schuldners in der Hand des Insolvenzverfahrens verblieben und ohne dass der Käufer irgendeine Verpflichtung oder Haftung übernehmen musste (abgesehen von denen, die im Zusammenhang mit den Arbeitsverträgen der Produktionseinheit stehen).
Sollte der Verkauf einer Produktionseinheit des Schuldners nicht möglich sein, da keine Angebote Dritter oder keine wettbewerbsfähigen Angebote vorliegen, würden die Vermögenswerte des Schuldners einzeln in öffentlichen Auktionen verkauft.
Schulden mit der Sozialversicherung im spanischen Insolvenzverfahren
Unter der Voraussetzung der oben beschriebenen Bedingungen ist bisher rechtlich nicht eindeutig geregelt, ob Schulden mit der Sozialversicherung unter die Haftung des Gesellschaftsnachfolgers fallen. Hierzu existieren seitens der spanischen Gesetzgebung unterschiedliche Kriterien.
Man könnte diese Sachlage so interpretieren, dass es sich in diesem Fall um Schulden handelte, die in Zusammenhang mit den Arbeitsverträgen stehen, da die Sozialversicherungsbeiträge an die Lohnzahlungen gebunden sind.
In der Praxis haben die Autoritäten der Sozialversicherung die Gerichsbeschlüsse, durch die eine Übernahme der in der übertragenen Produktionseinheit zustande gekommen Schulden mit der Sozialversicherung ausgeschlossen wurden, angefochten und somit zu einer rechtlicher Unklarheit in der Gesetzgebung beigetragen.
Schulden mit der Sozialversicherung werden Teil der Verbindlichkeiten des Käufers
Das Königliche Gesetzesdekret 11/2014 spricht dieses Problem an. Durch dieses Dekret wird der Haftungsausschluss des Käufers für Schulden im Fall des Kaufs einer Produktionseinheit eindeutig festgeschrieben, ausgenommen der Schulden, die das insolvente Unternehmen (zusätzlich zu denen mit den Arbeitskräften verbundenen Schulden) mit der Sozialversicherung hat. Daher werden die Schulden mit der Sozialversicherung Teil der Verbindlichkeiten, die der Käufer durch den Erwerb der Produktionseinheit übernimmt.
Insolvenzverwalter (Rechtsanwälte, Unternehmen und Richter, unter anderem) haben ihre Sorgen bezüglich dieser Massnahme ausgedrückt, denn sie gehen davon aus, dass dadurch in Zukunft die Verkäufe von Produktionseinheiten eines Schuldners, die sich in einem Liquidationsstadium befinden, erschwert werden.
Der Verkauf von Produktionseinheiten wird durch ein neues Gesetzesdekret erschwert
Diese Massnahme wird den Verkauf von Produktionseinheiten nicht nur behindern, sondern wird diese Art von Verkäufen in Anbetracht der Belastungen, die dadurch dem möglichen Käufer auferlegt werden, undurchführbar machen und damit Arbeitsplätze zerstören.
Die Praxis in spanischen Insolvenzverfahren hat gezeigt, dass der Verkauf von vollständigen Produktionseinheiten nicht nur machbar, sondern auch die beste Alternative zum Verkauf von einzelnen Anteilen des Schuldners in öffentlichen Auktionen (vor Abschluss der Beschäftigungsvereinbarungen) ist.
Eine derartige direkte Übertragung ermöglicht die Kontinuität der Produktionsaktivität der Produktionseinheit des Schuldners in der Hand eines neuen Besitzers und erlaubt ausserdem, die gesamte Arbeiterschaft beizubehalten.
Zusammenfassend kann man festhalten, dass der Verkauf einer vollständigen Produktionsheinheit den Fortbestand einer wirtschaftlichen Aktivität unterstützt und damit die Steuerzahlungen und Sozialversicherungsabgaben in der Zukunft sicherstellt.
Bisher häufiger Verkauf von vollständigen Produktionseinheiten
Der Verkauf von vollständigen Produktionseinheiten wurde in den letzten Jahren häufig vollzogen. Jüngste Beispiele für den Verkauf von Produktionseinheiten kann man in den Fällen von Cubigel, Cacaolat, Sati and Dogi finden, deren Gesellschaften während der jeweiligen laufenden Insolvenzverfahren übertragen wurden.
Wie oben bereits erwähnt, wird das Königliche Gesetzesdekret NR. 11/2014 (zusammen mit NR. 1/2015) zur Zeit als Gesetzesentwurf bearbeitet. Verschiedene Änderungsvorschläge für den letztendlichen Text wurden von den unterschiedlichen Parteien des spanischen Parlaments vorgelegt. Die Genehmigung des letztendlichen Texts des Gesetzesentwurfs sowie die möglichen Konsequenzen, die diese neu eingeführten Massnahmen für Verkäufe von Produktionseinheiten in der Zukunft spielen könnten, stehen mithin noch aus.
Alberto Álvarez
Mariscal Abogados, Rechtsanwälte Madrid, Spanien
Eurojuris España, Netzwerk von Spanischen Anwaltskanzleien